*Cedi-Betrag / 12 = Euro-Betrag
Liebe Hauptstadt,
die letzten Tage warst du ganz schön viel. Es ist nichts ungewöhnliches, dass in Großstädten viele Realitäten existieren. Aber mich innerhalb von wenigen Tagen zwischen abgebrannten Träumen und glorifiziertem Überflusses zu bewegen, ist mir etwas viel.
In Accra habe ich mehr als jemals zuvor erlebt, wie nah diese Lebensrealitäten beieinander sind. Ich habe Freunde an der Uni, die weniger als 30 Cedi* am Tag zur Verfügung haben. Für sämtliche Ausgaben. Eine Freundin verdient im Monat 1000 Cedis, das sind weniger als 85 € und ca. 70 % davon gehen bei ihr für das Pendeln drauf. ich hingegen bezahle mal eben 1200 GHC, um meinen Bildschirm am Handy zu reparieren. Sie ernährt davon ihre 4 Kinder und 2 jüngere Geschwister, ihre Eltern leben nicht mehr. Ja, der Ehemann arbeitet auch noch. Aber viel kann dabei nicht rumkommen, denn seit 9 Jahren lebt die Familie auf einem fremden Grundstück, in einem Holz-Verschlag ohne Strom oder fließendes Wasser. Gekocht wird draußen auf offenem Feuer. Neben dem Haus gibt es eine große Kokospalme und ein paar Bananenstauden. Sie werden dort geduldet, es ist nur ungewiss wie lange.

Am Samstag war ich dorthin eingeladen zu einer End-Of-School-Feier vor den Sommerferien. Zum Frühstück gab es Banku (fermentierter Mais) mit Groundnut Soup und Hähnchen sowie jeweile einer Krabbe. Die Freundin, ich nenne sie hier Destiny, berichtet dass sie bereits um 3 Uhr morgens aufgestanden ist, um zum Markt zu fahren. Wir machen uns zu Fuß auf zu der Feier und werden natürlich direkt hofiert, die vier Weißen bei der Schule im Ort. Die Schule feiert sich nun als International und ist erfreut über den hohen Besuch, dabei haben wir ja gar nichts geleistet. Wir werden auf die Bühne gebeten, um uns vorzustellen, und ich bin froh, dass ein Kollege das Mikro in die Hand nimmt und ich so nur mit der jüngsten Tochter auf dem Arm lächeln und winken muss. Für den Sohn der Familie übernehme ich für den Tag eine Patenschaft und spende ein wenig Geld an die Schule. So habe ich die Ehre, ihm als Erstes zum Bestehen der Vorschule zu gratulieren. Die Familie ist schick angezogen und die Kinder wirken recht glücklich. Es ist schön, die Schule und die Community zu sehen und durch die Nachbarschaft zu laufen. Doch trotzdem hinterfrage ich es natürlich auch. Für mich ist es ein Besuch in eine fremde Welt, für die Menschen hier das Leben. Und ich möchte gar nicht zu sehr mit Mitleid auf diese Art des Wohnens blicken. Ich will den Menschen nicht überstülpen, dass sie doch bestimmt leiden, doch ich bekomme es durch meine Freundin ja mit. Jeden Tag kommt sie zur Uni zum Arbeiten, da sieht sie ja auch, wie wir auf dem Campus leben und wie es ist, sanitäre Einrichtungen und Strom zu haben, und sieht, in welchem Maß gerade wir Internationals Geld ausgeben können. Sie beschwert sich auch über die Politik und berichtet mir, dass sie nicht wählen geht, weil sie kein Vertrauen hat, keine Hoffnung auf Besserung. Sie berichtet auch von einigen Schicksalsschlägen in ihrem Leben, und ich bekomme ein Gefühl dafür, wie es ist, wenn kein Sozialstaat hinter dir steht, wenn es mal schwierig wird. Es ist Ende des Monats und ihre Chefin kommt einfach nicht vorbei, um ihren Lohn zu zahlen. Und dabei braucht sie doch jeden Cedi. Ich helfe ihr auf die Sprünge und hoffe, dass ich nicht zu überheblich dabei rüberkomme.
Am Sonntag dann geht es in den Gottesdienst. Durch einen Freund erfahren wir von der ICC, International Christian Church und besuchen den Gottesdienst auf dem Campus. Es wird viel gesungen und sehr motiviert gepredigt. Mir fällt es schwer, der Predigt zu folgen und stattdessen fange ich an die Gemeinde zu googlen und statt den Bibelversen zu lauschen, finde ich mich in Online Foren wieder, die vor diesem Verein warnen. Es sind die - leider - üblichen Warnungen vor Sekten; sie nutzen die Verwundbaren und potentiell Einsamen aus, um sie für ihre wohlwollende Gemeinschaft zu gewinnen und erwarten dann finanzielle Gegenleistungen. Bei der Kollekte wird nicht, wie in meiner Gemeinde üblich, ein Korb herumgegeben, sondern es gibt personalisierte Briefumschläge, die nach dem Gottesdienst eingesammelt werden. Gepaart mit dem, was ich nachlese, ist es wirklich gruselig, wie die Mitglieder so kontrolliert und ggf. unter Druck gesetzt werden.
Aber nun gut, ich muss ja auch nicht wieder kommen. Bleibt nur zu hoffen, dass nicht zu viele Studierende in ernsthafte Probleme geraten.
Montag. Eine neue Woche beginnt. Ich erfahre von einem Brand in Madina, auf einem der größten Märkte Accras. Ein Feuer wütete und hat am Sonntagabend einige Shops und Lagerräume zerstört. Und dann erfahre ich; Destiny hat in dem Feuer ihren kleinen Laden verloren. Es war nicht viel, sie hatte ein kleines Stück von einem Container zum Lagern gemietet und tagsüber dort Kleidung verkauft, in dem Slum, so wie die Medien diesen Teil des Marktes bezeichnen. Mit Hilfe eines Mikrokredits war es ihr möglich, dieses Geschäft aufzubauen, doch jetzt fehlt ihr jede Grundlage, um den Kredit zurückzuzahlen. Sie weint ganz doll und ich nehme sie mehrfach in den Arm. Egal wie oft ich von solchen Schicksalen über diverse Medien mitbekommen habe, ist es doch etwas ganz anderes, eine so liebe Person so kämpfen zu sehen. Auch wenn sie sehr tapfer ist und versucht, den Kopf hoch zu halten.
Dienstag. Heute schreibe ich erst einen Test und danach bin ich eingeladen, bei einem Fotoshooting mitzumachen. Es ist ein Tag, der den Brautmoden gewitmet wurde und so finde ich mich am späten Vormittag im Mariott-Hotel in Accra wieder und werde geschminkt und mir wird eine dunkle Hochsteckfrisur gezaubert. Es folgt ein pompöses Hochzeitskleid und eine Unmenge an Foto- und Videographen, deren Linsen auf mich gerichtet sind. Es wird das Glamour- und Luxusleben ausgelebt, oder zumindest so getan, solange wir im Hotel sind. Über eine Bekannte sind wir, eine Freundin und ich, an eine Hochzeitsplanerin geraten, die zusammen mit einer Mode-Designerin die Brautmoden und allen Schnickschnack drumherum in Szene setzen möchte. Und das gelingt der Gruppe hervorragend. Ich fühle mich fremd und frage mich, wie diese Menschen sich für eine Karriere in der Modebranche entschieden haben. Kommen diese schon aus so wohlhabendem Hause, dass sie privilegiert genug sind, um sich eine Branche auszusuchen, in der sie arbeiten wollen, oder sind sie self-made? Wenn ja, wie kommt man dann darauf, andere Menschen mit vier Schichten Foundation vollzukleistern, anstatt ein kleines bisschen mehr Richtung Gemeinwohl irund soziale oder wirtschaftliche Entwicklung zu blicken? Oder vielleicht bin ich da zu streng mit den Personen? Ich kann ja schließlich auch das machen, was ich will. Die Interessen sind da wohl einfach unterschiedlich. Meine Welt ist es jedoch nicht.


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